Die Finanzbranche hat in den letzten zwei Jahrzehnten bedeutende Veränderungen erlebt, die das Verständnis und die Aufgaben der Branche stark verändert haben. Doch im Vergleich zu dem, was sich jetzt ankündigt, waren diese Veränderungen nur ein Vorspiel. Embedded Finance ist der Treiber dieser Veränderung und könnte dazu führen, dass Banken ihre traditionelle Rolle vollständig verlieren.
Veränderung ist die einzige Konstante im Universum, wie der griechische Philosoph Heraklit einst sagte. Das gilt auch für nahezu jeden Wirtschaftssektor. Wir kennen dies aus der fertigenden Industrie, die gerade ihre vierte Revolution durchläuft: Nach der Dampfmaschine, der Massenfertigung und der Elektronik kommt nun die Digitalisierung. Doch auch die Finanzbranche bleibt von solchen Veränderungen nicht unberührt, obwohl passende Schlagworte bisher fehlen. Nur wenige sprechen von "Finance 4.0".
Zu Unrecht, denn seit der Jahrtausendwende unterliegt auch unser Sektor regelmäßig grundlegenden Veränderungen. Auf das klassische Bankengeschäft folgten seitdem mindestens zwei Revolutionen. Und jetzt kündigt sich eine weitere, bedeutende Veränderung an: Embedded Financial Services. Dieser Markt könnte in naher Zukunft mehrere hundert Milliarden US-Dollar umfassen. Für Kunden bedeutet dies mehr Komfort im Umgang mit Finanzdienstleistungen, während Unternehmen einen Wettbewerb um gute Platzierungen in der neuen Finanzwelt eröffnen.
Der Schritt zur Finance 2.0 erfolgte um die Jahrtausendwende. Damals ging es in erster Linie darum, Prozesse zu vereinfachen, indem man sie digitalisierte. Ein bekanntes Beispiel ist PayPal. Unternehmen zeigten vor allem im Zahlungsverkehr, dass es keine Bank mehr braucht, um Zahlungen abzuwickeln. Das Bezahlen funktionierte viel einfacher online.
Die nächste Revolution, bekannt als "Unbundling", begann etwa 2013. Fintech-Unternehmen trieben diesen Trend voran, indem sie sich auf spezielle Teilbereiche fokussierten, in denen sie den Generalisten der traditionellen Finanzwelt überlegen waren. So entstanden Neobanken, die sich auf Girokonten und Kreditkarten konzentrierten, Neobroker, die den Aktienhandel per App anboten, und Finanzdienstleister, die Kreditgeschäfte sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen abwickelten. Die Verbraucher erkannten, dass sie nicht zwangsläufig auf etablierte Banken angewiesen sind, um Geld zu leihen, zu verwalten oder zu investieren.
Diese beiden Revolutionen markierten nicht das Ende der Geschichte, sondern legten lediglich den Grundstein für das, was jetzt kommt. Embedded Financial Services generieren bereits heute einen Umsatz von rund 43 Milliarden US-Dollar. Bis 2025 könnte dieser Markt auf 230 Milliarden US-Dollar anwachsen, und der Unternehmensberater Simon Torrance prognostiziert für das Jahr 2030 sogar einen Marktwert von sieben Billionen US-Dollar. Der aktuelle Boom des "Buy Now, Pay Later" ist dabei erst der Anfang.
Embedded Finance bedeutet im Kern, dass jedes Unternehmen Finanzdienstleistungen anbieten kann, unabhängig von einer Banklizenz oder Erfahrung in diesem Bereich. Praktisch könnte dies bedeuten, dass man seinen nächsten Kredit bei Amazon beantragt, wenn man dort einen Fernseher kauft, sein Girokonto bei DM eröffnet oder eine Vollkaskoversicherung bei BMW abschließt.
Die Grenzen zwischen der Finanzindustrie und anderen Branchen verschwimmen zunehmend. Dies wird durch die vermehrte Nutzung von APIs, Open Banking und dem Aufkommen von Banking-as-a-Service (BaaS) ermöglicht.Im Unterschied zu früheren Modellen wie den Autobanken, über die beispielsweise Volkswagen oder Daimler ihr Fahrzeug-Leasinggeschäft abwickeln, benötigen Unternehmen dank BaaS keine Banklizenz mehr, um solche Angebote bereitzustellen.
Kunden profitieren von einem gesteigerten Komfort. Bei größeren Anschaffungen können sie die Finanzierung direkt vom Händler erhalten, möglicherweise sogar in Kombination mit passenden Versicherungsangeboten, ohne separate Anbieter einbinden zu müssen.
Unternehmen können ihre Kundenbindung stärken und gleichzeitig ihre Umsätze steigern. Wenn Kunden beim Kauf eines Kühlschranks direkt ein Finanzierungsangebot erhalten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Kauf abschließen. Unternehmen, insbesondere Online-Marktplätze, die ihren Händlern Zwischenfinanzierungen anbieten, unterstützen diese beim Skalieren ihres Geschäfts. Durch die Nutzung bestehender Kundenbeziehungen entfallen bei der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen die hohen Kosten für die Kundenakquise.
Investoren haben das Potenzial erkannt, und die Wagniskapitalzuflüsse in Europa haben sich im Vergleich zu 2020 verdoppelt. Unternehmen wie Rapyd oder Mambu erreichen bereits Milliardenbewertungen. In den USA sind Anbieter wie Shopify Capital, Stripe und Moov Financial bereits etabliert und zeigen, wohin die Reise auch hierzulande gehen kann.
Embedded Finance treibt eine weitere Revolution in der Finanzbranche voran. Es besteht die Möglichkeit, dass Banken ihre traditionelle Rolle verlieren könnten, da Unternehmen aus anderen Branchen Finanzdienstleistungen nahtlos in ihre Angebote integrieren können. Kunden profitieren von einem verbesserten Komfort und einer größeren Auswahl an Finanzdienstleistungen. Unternehmen haben die Chance, ihre Kundenbindung zu stärken und ihre Umsätze zu steigern. Dennoch werden Banken und Finanzinstitute weiterhin eine wichtige Rolle spielen, da sie über Fachwissen, Erfahrung und etablierte Infrastrukturen verfügen. Die Zukunft wird wahrscheinlich eine Kombination aus traditionellen Banken, Fintech-Unternehmen und nicht-finanziellen Unternehmen sehen, die Finanzdienstleistungen anbieten. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich die Finanzbranche weiterentwickeln wird und welche neuen Chancen und Herausforderungen sich daraus ergeben werden.